Im Test: Harveys neue Augen (PC)

2008 konnte Daedalic Entertainment mit ihrem Erstlingswerk, dem Adventure Edna bricht aus, Spieler und Kritiker gleichermaßen überzeugen. Seit dem hat das Hamburger Entwicklerstudio mit Titeln wie The Whispered World oder A New Beginning bewiesen, dass die klassischen Point & Click-Adventures noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Nun veröffentlichte das Team rund um Edna-Schöpfer und Creative Director Jan Müller-Michaelis mit Harveys neue Augen nicht nur einen weiteren abgedrehten Genre-Vertreter, sondern auch eine direkte Fortsetzung zum Erfolgsspiel von 2008.

Wer Edna bricht aus gespielt hat, fühlt sich schon in den ersten Sekunden von Harveys neuen Augen heimisch. Der grafische Stil des Vorgängers wurde ganz klar beibehalten und verleiht auch dem neuen Adventure einen ganz eigenen Charme. Dabei ist es egal, ob es nun die handgezeichneten Hintergründe sind oder die unterschiedlichen und teilweise sehr skurrilen Charaktere. Aber auch der gewohnte Daedalic-Humor kommt nicht zu kurz – und das fällt bereits vor dem Spiele auf. Immerhin haben die Entwickler auf einen Kopierschutz verzichtet und setzten stattdessen auf eine „Retro-Code-Scheibe“ mit der ihr zu Spielbeginn ein bestimmtes Datum ermitteln müsst. Eine wirklich tolle Idee.

Die Hauptrolle in der Geschichte – die toll von Erzähler Götz Otto kommentiert wird – von Harveys neuen Augen übernimmt übrigens nicht wieder Edna, sondern die junge Klosterschülerin Lilli, die das wohl eines der bravsten Mädchen der Welt ist. Freunde hat sie allerdings keine wirklichen, abgesehen von ihrer Zimmergenossin Edna. Lilli leidet außerdem unter der strengen und kinderhassenden Oberin Ignatz. Als eines Tages schließlich der aus dem Vorgänger bekannte Psychologe Doktor Marcel in das Kloster kommen soll, überschlagen sich die Ereignisse und Edna verschwindet schließlich. Lilli möchte natürlich ihrer Freundin helfen und sie finden. Ohne zu viel vom weiteren Spiel verraten zu wollen, sei noch gesagt, dass Story wieder genauso abgedreht ist wie noch im Vorgänger, auch wenn die hohe Qualität von Edna bricht aus nicht ganz erreicht wird.

Spielerisch ist Harveys neue Augen ein recht klassisches Point & Click Adventure. Ihr sammelt alle Gegenstände die nicht Niet- und Nagelfest sind, löst Rätsel, absolviert einige kleinere Minispiele und folgt so der teilweise abgedrehten Geschichte. Dabei ist den Entwicklern das Design der Rätsel wirklich gut gelungen. Meist lassen sich die Lösungen logisch nachvollziehen, trotzdem dauert es immer wieder einen Moment, bis diese gefunden ist. Nur an einigen wenigen Stellen könnte es zu längeren Hängern kommen, da das Spiel hier zu ungenau angibt was ihr denn überhaupt tun müsst. Aber auch hier dürfte jeder Spieler früher oder später weiter kommen ohne das der Spielspaß darunter leidet. Die Minispiele hingegen lassen sich auf Wunsch auch überspringen, falls ihr zu lange an ihnen hängt. Das kommt gerade Genre-Anfängern zu Gute, die partout nicht auf die richtige Lösung kommen und sich nicht zu lange mit Trial & Error aufhalten wollen.

Bei all dem Lob hat Harveys neue Augen aber auch ein paar Schattenseiten, die allerdings nicht allzu stark zum tragen kommen. So lässt das Spiel leider im weiteren Verlauf immer weiter nach, bleibt aber die ganze Zeit auf einem sehr hohen Niveau. Das hat das neue Adventure mit seinem Vorgänger gemein. Schon in Edna bricht aus war das erste Kapitel das beste, was sich in Harveys neue Augen nun wiederholt. Der zweite Punkt ist, dass einige Charaktere nur zu kurz vorkommen, was angesichts ihres Potenzials etwas schade ist. Trotzdem wird dieser Punkt durch die recht hohe Zahl anderer und teilweise noch abgedrehtere Charaktere wieder wett gemacht.

Die Sounduntermalung ist den Entwicklern ebenfalls wieder sehr gut gelungen. Die einzelnen Musikstücke passen immer sehr gut, wenn nicht sogar perfekt, in die einzelnen Szenen und untermalen dadurch die Geschehnisse ausgesprochen gut. Das beginnt bereits beim Intro und dem dort zu hörenden Titelsong „Nadel & Faden“, das Edna-Schöpfer Jan Müller-Michaelis übrigens selbst eingesungen hat. Das Lied selbst ist natürlich Geschmackssache, aber es passt auf seine Art und Weise perfekt zu Harveys neue Augen. Ein großes Lob verdienen auch die einzelnen Sprecher, die durchweg einen sehr guten Job abliefern. Jedem einzelnen wird die jeweilige Rolle abgekauft und die Stimmen passen auch immer zu den einzelnen Charakteren. Besondere Erwähnung hat noch einmal Götz Otto als exzellenter Erzähler der Geschichte verdient. Sogar die eigentlich nicht sprechende und nur wenige Töne von sich gebende Lilli hat eine Sprecherin spendiert bekommen, die perfekt zur jungen Klosterschülerin passt und die Geräusche glaubhaft wieder gibt.

Fazit

Harveys neue Augen ist wieder einmal ein Adventure-Meisterwerk von Daedalic Entertainment. Dabei gelten allerdings auch ein paar Einschränkungen: Das beste Spiel des Hamburger Entwicklerstudio ist der Edna-Nachfolger ganz klar nicht. Auch den eigenen Vorgänger kann Lilli nicht übertrumpfen, bleibt aber trotzdem auf einem hohen Niveau. Fans von Edna bricht aus werden den neuen Teil sowieso spielen und alle anderen Spieler, die etwas mit Adventures anfangen können, sollten es zumindest in Erwägung ziehen. Welches der beiden Press A Button-Siegel Harveys neue Augen letztlich verdient hat, war eine schwere Entscheidung. Am Ende habe ich mich für „Geheimtipp“ entschieden, da zur „Güteklasse A“ und damit einem absoluten Top-Titel doch noch ein wenig gefehlt hat.

Screenshots

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Nach oben scrollen