Im Test: Alice: Madness Returns (PC)

Das Wunderland ist böse. Daran gibt es keinen Zweifel. Oder würdet ihr eine Geschichte, in der eine Siebenjährige immer wieder mit dem Tod durch Enthauptung bedroht wird, als besonders kinderfreundlich abstempeln? Ich nicht. Daher liebe ich es so. Wahnsinn und Alice haben für mich immer wunderbar zusammengepasst. Nicht nur, dass das Wunderland schon in der Urversion am Rande des Wahnsinns entlang tanzte, nein, ein Mädchen, dass solche Träume hat wie Alice, kann nicht ganz normal sein. So sah das auch American McGee, als er 2000 mit American McGee’s Alice den ersten Teil des dunklen Märchens auf den Markt brachte und die Titelfigur als wahnsinniges, kleines Mädchen darstellte. Außer an „klein“, hat sich daran in Alice: Madness Returns auch nichts geändert.

Dieses spielt rund zehn Jahre nach den Geschehnissen des ersten Teiles, die Alice verständlicherweise geprägt haben. Mittlerweile ist sie siebzehn Jahre alt und leidet noch immer unter dem Feuertod ihrer Familie, für den sie sich die Schuld gibt. Um ihrem Schmerz zu entkommen, flüchtet sie sich abermals in das dunkle Wunderland ihrer Kindheit, nur um festzustellen, dass es dort noch eine Spur düsterer geworden ist. Nicht nur das, es scheint kurz vor dem Zusammensturz durch eine mysteriöse Macht, die als zerstörerischer Zug dargestellt wird, zu stehen. Alles, was Alice weiß ist, dass das Wunderland und ihr Verstand miteinander verwoben sind. Wird eines zerstört, zerbricht auch das Andere. Also macht sie sich daran, die Dinge wieder gerade zu rücken. Notfalls mit Gewalt.

Und Gewalt ist etwas, das ich selbst manchmal gerne auf das Spiel oder bestimmte Entwickler angewendet hätte. Wenn es eine Sache gibt, die ich an Spielen hasse, dann ist es Springen. Und zu meinem Leidwesen gibt es jede Menge Sprungpassagen in Alice. Und mit „jede Menge“ umschreibe ich gerade „so verdammt viele, dass es einfach nur noch lächerlich ist.“ Wären es nur normale Sprünge, hätte ich es vielleicht nach einiger Zeit verkraftet, aber hier handelt es sich um die fiesesten Sprünge, die ich jemals in einem Videospiel gesehen habe. Egal ob unsichtbare, sich bewegende Plattformen über tödlichen Abgründen oder Metallschrauben, die sich auf und ab bewegen und auf denen Alice nicht stehen bleiben kann, weil sie sonst in die Lava sickert (wobei ich mir bis jetzt nicht sicher bin, ob es Bug oder Gameplay war), die Entwickler machen es hier einem wirklich nicht leicht. Der im Titel angesprochene Wahnsinn könnte sich ebenso gut auf den Zustand beziehen, in den du nach dem zwanzigsten Absturz verfällst. Zwar kann die Protagonistin weit springen und sich auch noch in der Luft bewegen, jedoch brauchst du Fingerspitzengefühl, das richtige Timing, exakt den richtigen Winkel und jede Menge Glück. Sonst bist du verloren. Und das war ich. Oft. Ich kann nicht mehr nachzählen, wie oft ich Alice in den Tod geschickt und mir ihren Todesschrei anhören musste, der die stimmungsvolle Musik von Ex-Nine Inch Nails Mitglied Chris Vrenna zerriss. An einigen Stellen war ich sogar so weit, dass ich kurz davor war, das Spiel frustriert hin zu schmeißen wenn nicht … ja, wenn nicht die Optik gewesen wäre.

Alice: Madness Returns ist nicht hübsch. Es ist schön. Der morbide, dunkelbunte Look in all seinen verqueren Details ist genau das, was ich mir immer von einem Alice-Spiel, oder auch von dem enttäuschenden Tim Burton Film, gewünscht habe. Selten habe ich ein so grandioses Artwork gesehen. Die farbenfrohen Details, die sich durch alle Level ziehen, haben mich mehr als einmal im Spiel verharren und einfach staunen lassen. Die Kreativität in den verschiedenen Level-Landschaften ist unglaublich. Egal ob Steampunk-Fabrik, Unterwasserwelt, himmlisches Kartenschloss, ein asiatisch anmutender Papiertempel oder der Wunderlandwald, es gibt sehr viel zu bestaunen. Eine Kulisse ist schöner als die Nächste und ich konnte mich nicht daran satt sehen. Passend zu jeder Location wechselt Alice ihr Kleid, was auch das Mädchen in mir freut und mehr als einen Cosplayer glücklich machen wird. Ebenso erwähnenswert ist, dass die Zwischensequenzen in einer Art animierter Holz- und Scherenschnittoptik sind, die ebenso morbidbunt ist, wie der Rest des Spiels. Es hat einfach Charme. Die Geschichte selbst ist stimmig und einfallsreich, sowohl visuell als auch erzählerisch. Verwirrendschöne Dialoge, großartigverrückte Charaktere, eine interessante Story und jede Menge Details. Egal ob Schweineschnauzen, die, einmal angepfeffert, geheime Wege oder Bonusmaterial freischalten oder geisterhafte Erinnerungsfetzen, die es zu sammeln gilt, die Feinheiten sind liebevoll durchdacht und ausgearbeitet. Genau so etwas wünsche ich mir von einem Spiel.

Leider tröstet das alles nicht über das Gameplay hinweg. Kurz: Es wird recht schnell langweilig. Die Missionen sind ohne jede Abwechslung und auch die Minispiele sind zu selten und zu gleich, um daran etwas zu ändern. Alice läuft durch eine schöne Welt und tut immer wieder dasselbe: Springen und kämpfen und wieder springen. Ich habe keinen Slasher erwartet, als ich anfing Madness Returns zu spielen, aber ich dachte auch nicht, dass ich die meiste Zeit einfach nur stupide von einer Plattform zur nächsten springen muss und dabei Alice immerzu in den Tod schicke, da zu meiner eigenen Unfähigkeit noch eine sehr hakelige Steuerung hinzu kommt, die die stark benötigte Präzision quasi unmöglich macht. Kämpfe kommen leider viel zur kurz und sind noch dazu glorreich unausbalanciert. Entweder Alice trifft über weite Strecken niemanden oder nur ein, zwei bizarre Kreaturen in weitem Abstand oder sie wird überrannt. Bizarre Kreaturen, die von bösen Kartenkriegern über schwebende Teerpuppenkreaturen bis hin zu aggressiven Teekannen reichen, und versuchen Alice den Garaus zu machen. Jeder Gegner erfordert eine bestimmte Technik oder Waffe und von denen hat Alice einige: Neben ihrer eleganten und äußerst tödlichen Vorpalklinge, findet Alice nach und nach ein Steckenpferd, zum Zermatschen, eine Teekannenkanone und eine Pfeffermühle zum Schießen, explodierende Hasenbomben und einen Schirm, um Feuerbälle umzulenken. Alle Waffen können durch Zähne, die man während des Spiels sammelt, verbessert werden. Zwar dauert es, bis man genug Beißerchen zusammen hat, aber jedes Upgrade lohnt sich, denn die Wirkung im Kampf ist sofort zu spüren. Alice’ Lebensbalken wird durch Rosenblätter dargestellt. Sind davon nicht mehr viele da, beginnt der Bildschirm zu splittern. Jedoch macht das auch den Hysterie-Modus möglich, der Alice für kurze Zeit in eine Furie verwandelt, die austeilt ohne einzustecken. Das Ganze findet in wunderbarem Schwarz-Weiß statt und nur das Blut ihrer Feinde schimmert dunkelrot in der monochromen Landschaft.

Fazit

Ich bin zwiegespalten. Einerseits habe ich mich verliebt, in die Optik, in die Idee, in die Story, in die Figuren. Aber ich spiele ein Spiel nicht, nur weil es hübsch aussieht. Und leider kann die visuelle Poesie nicht vollständig über die Schwächen von Alice: Madness Returns hinweg trösten. Einseitiges Gameplay, hakelige Steuerung, nervige Bugs und das Hüpfenhüpfenhüpfenhüpfen. Alice hätte ein, für mich, perfektes Action-Adventure sein können, aber leider wurde viel Potenzial verschenkt. Obgleich eindeutiger Schwächen ist Madness Returns spielens- und empfehlenswert. Es bietet jenseits der Frustmomente, für die Andere eventuell mehr Geduld aufbringen können als ich, kurzweilige Unterhaltung in einer der bizarrsten und kreativsten Videospielwelten überhaupt. Wer Action-Jump’n’Runs mag und den Look ansprechend findet, sollte Alice durch den Kaninchenbau folgen. Es lohnt sich.

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1 Kommentar zu „Im Test: Alice: Madness Returns (PC)“

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